Szenen in einem Roman

Szenen sind die kleinsten, zusammenhängenden Einheiten in einem Roman. Mehrere Szenen zusammen ergeben ein Kapitel und viele Kapitel ergeben zusammen eine Geschichte.

So kann man den Aufbau eines Romans grob beschreiben.

Man könnte also meinen, dass es nicht auf die eine Szene ankommt.

Und genau da bin ich anderer Meinung.

Jede einzelne Szene sollte spannend und unterhaltsam sein, so dass sie in ihrer Vielzahl zu einem befriedigenden Leseerlebnis führt. Und noch viel wichtiger – jede einzelne Szene sollte einen Sinn haben und die Geschichte voranbringen.

Im Grunde kann man sich einzelne Szenen ähnlich wie eine komplette Geschichte vorstellen. Es gibt einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss. Außerdem gibt es eine Botschaft, die transportiert wird und optimalerweise eine Wandlung der Charaktere, die in der Szene auftreten.

Das hört sich jetzt nach ziemlich viel an für so eine kleine Szene, die es zigmal in einem ganzen Manuskript gibt. Wie soll man denn das alles in wenigen Paragrafen unterbringen?

Ich denke beim Schreiben grundsätzlich in Szenen, von der ersten bis zur letzten Zeile meines Buches. Da ich zu den Discovery Writern (entdeckende Schreiber) gehöre und somit nicht allzu viel vorplane, habe ich als Ziel meiner einzelnen Schreibsessions immer die nächste, oder die nächsten zwei, Szenen im Kopf.
Was soll als nächstes passieren? Was möchte ich zeigen? Wie soll es ausgehen? Und dann fange ich an, meine einzelnen kleinen Geschichten, die am Ende mein gesamtes Manuskript ergeben, aufzuschreiben. In manchen Szenen tobe ich mich lange und detailliert aus, andere sind wieder kürzer und auf den Punkt gebracht. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind in sich abgeschlossen und bringen meine Geschichte voran.

Dabei sind inhaltlich keine Grenzen gesetzt und ich kann schreiben, wie es zur Geschichte passt. Je nachdem, welche Literatur man zur Hand nimmt, gibt es die Stimmen, die sagen, dass es unterschiedliche Szenentypen gibt, wie reine Beschreibungen (auch zum Beispiel von Landschaften), innere Monologe und Szenen, in denen tatsächliche Aktion stattfindet.
Dann gibt es auch die Literatur, die nur Aktions-Szenen als wahre Szenen betitelt und Monologen und Beschreibungen andere Namen gibt.

Wie ich das ganze letztendlich nenne, ist meines Erachtens egal. Wichtig ist, wie ich das in meinem Manuskript inhaltlich umsetze.

Wenn ich zum Beispiel einen inneren Monolog eines Protagonisten schreibe, dann ist es wichtig, dass sich seine Gedanken beziehungsweise seine Ansicht vom Anfang der Textpassage bis zum Ende geändert haben. Er muss seine Ansicht nicht zwangsweise um einhundertachtzig Grad drehen, aber er sollte zum Ende hin mindestens eine andere Erkenntnis haben oder um eine Erkenntnis reicher sein als am Anfang.
Und auch in Aktions-Szenen ist es wichtig, dass etwas passiert. Es muss sich nicht um etwas weltbewegendes handeln, aber es sollte zumindest die Ausgangssituation etwas verändert haben.

Möchte ich Drama oder Spannung erzeugen, so sollte ich meine Charaktere am Ende der Szene schlechter dastehen lassen als zu Beginn. Ihre Sehnsüchte oder die Jagd nach ihren Bedürfnissen sollte in weitere Ferne gerückt sein. Das stellt den Leser vor eine emotionale Herausforderung und der Drang weiterzulesen nimmt zu. Schaffe ich es, ihn so durch meine Geschichte zu führen, wird er sich in einer Achterbahnfahrt der Gefühle befinden.
Das sind letztendlich die Bücher, die man nicht so schnell vergisst. Man leidet mit den Protagonisten und fiebert auf ein (hoffentlich) Happy End hin.

Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen Character-Driven (die Charaktere und ihre innere Entwicklung stehen im Vordergrund) und Plot-Driven (die Handlung der Geschichte, die äußeren Geschehnisse stehen im Vordergrund) Geschichten. In Geschichten, die von den Gefühlen ihrer Charaktere leben, ist es noch wichtiger, viele Emotionen einfließen zu lassen.
In Geschichten, in denen es primär um einen spannenden Plot geht, sind die Plotentwicklungen in der Regel wichtiger.
Beide haben aber eins gemeinsam: Jede Szene muss die Geschichte weiterbringen. Ist für den Leser nicht erkennbar, was der Autor ihm mit einer bestimmten Szene sagen wollte, ist er im besten Fall verwirrt, im schlimmsten Fall gelangweilt. Und gelangweilte Leser lesen im besten Fall nicht weiter, geben im schlechtesten Fall negative Rezensionen von sich. Beides ist nicht das, was sich der Autor beim Schreiben der Geschichte erträumt.

Für mich hat sich das Schreiben und die Sichtweise auf meine Manuskripte dramatisch verändert, seit ich mich intensiv mit der Struktur von Szenen beschäftigt habe.

Natürlich ist mein kurzer Abriss zu diesem Thema nicht abschließend und allumfassend. Wer ebenfalls Interesse an diesem Schreibthema hat und detaillierter in die Materie eintauchen möchte, dem empfehle ich die zwei Schreibratgeber Writing Deep Scenes und Make a Scene, welche ich beide in meinen Rezensionen auf diesem Blog vorgestellt habe. Leider sind sie meines Wissens nicht ins Deutsche übersetzt, aber ich kann nur sagen, es lohnt sich wirklich!

Lila